KOMMENTAR
Klug statt weise
Wenn CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe – angesprochen auf die Präimplantationsdiagnostik (PID) – zu bedenken gibt, Politiker trügen Verantwortung nicht nur für „stramme Forderungen“, „sondern auch für das Ergebnis eines politischen Prozesses“, mag das klug klingen. Weise ist es nicht. Denn die PID ist – zumindest bislang – das denkbar schlechteste Beispiel, um Gröhes grundsätzlich richtige Erkenntnis zu belegen. Ein Grund: Jahrelang lautete die vorherrschende Rechtsmeinung unter Juristen, die PID sei in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verboten. Dass dieses Verbot mit der Verfassung vereinbar sei, wurde von niemandem bezweifelt. Zwar wurde eine Novelle des ESchG in der Vergangenheit schon häufiger gefordert. Begründet wurde dies jedoch stets mit dem Verweis auf neue Fragen, die der medizinische Fortschritt aufgeworfen habe und die es zu beantworten gelte. Nie jedoch damit, Buchstabe oder Geist des ESchG verstießen ohnehin gegen die Verfassung. Auch diejenigen, die sich für eine Zulassung von Gentests an Embryonen stark machen, behaupten bislang nicht, ein Verbot derselben sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. Nun hat der Bundesgerichtshof in einem äußerst umstrittenen Urteil die Ansicht geäußert, von einem Verbot der PID durch das Embryonenschutzgesetz könne nicht ausgegangen werden. Dass ein gesetzliches Verbot derselben gegen die Verfassung verstoße, sagt er nicht. Es gibt also keinen Grund ein Verbot der PID, das die Mehrheit der Juristen jahrzehntelang aus dem Embryonenschutzgesetz herauslesen zu können meinte, nun nicht auch explizit hineinzuschreiben.
Dies wäre selbst dann der Fall, wenn das Bundesverfassungsgericht – was wenig wahrscheinlich ist – tatsächlich ein gesetzliches Verbot der PID unter Berufung auf das Grundgesetz wieder kassierte. Der Grund hier: Spätestens seit dem BGH-Urteil ist die PID in Deutschland erlaubt. Ein gescheiterter Versuch, sie zu verbieten, könnte die jetzige Situation also keinesfalls verschlimmern. Auch verbietet niemand der Politik, einen verfassungswidrigen Gesetzentwurf durch einen verfassungskonformen zu ersetzen. Das vermag nur sie selbst. Dagegen würde die explizite Erlaubnis von Gentests an Embryonen &nda sh; wie eingeschränkt auch immer sie ausfiele – das Niveau des Lebensschutzes in Deutschland weiter verschlechtern. So wurde etwa das Stammzellgesetz, das den Import embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und ihre Verwendung zu Forschungszwecken nur „ausnahmsweise“ regeln sollte, schon bald darauf weiter liberalisiert. Wer sicher gehen will, dass sich diese Posse nicht wiederholt, muss jetzt für ein gesetzliches Verbot der PID werben. Denn wie sagt der kluge CDU-General: „In der Politik tragen wir die Verantwortung nicht nur für stramme Forderungen, sondern auch für das Ergebnis eines politischen Prozesses.“
IM PORTRAIT

Stefan Rehder, M.A.
Stefan Rehder, geboren 1967 in Düsseldorf, ist Journalist und Sachbuchautor (2010: „Grauzone Hirntod – Organspende verantworten“) mit den Schwerpunkten Lebensrecht, Bioethik und Biomedizin. 2007 erschien sein Buch „Gott spielen – Im Supermarkt der Gentechnik“, in dem er sich auch mit der künstlichen Befruchtung, der PID und dem Fetozid auseinandersetzt.